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Ein Buch von Viviella Federschleier[1][2].
Die Frau mit der Orange

Rhythmus

Der langsame Takt meiner Schritte auf dem steinigen Boden passte zu meiner Stimmung. Ein jüngeres Familienmitglied zu beerdigen war immer eine grausame und bittere Angelegenheit. Die Beileidsbekundungen fühlten sich leer und wertlos an und so zog ich mich früh zurück, in der Hoffnung, ein kurzer Spaziergang könne mich für den restlichen Abend vorbereiten. Ich kenne die Gegend gut und in der Nähe war ein kleiner Pfad, den kaum jemand benutzte. Ich lief eine Weile, bis ich beschloss, mich auf den Rückweg zu machen. So blieb ich stehen. Der Takt von Schritten allerdings, blieb bestehen.

Die Frau mit der Orange

Die Geschichte, die ich euch nun erzähle, ist anders als die bisherigen. Der geneigte Leser mag mir verzeihen, dass ich dieses eine Mal eine wahre Geschichte schreiben werde. Es begann vor langer Zeit, doch erst seit Kurzem erfüllt es mich mit Schrecken und ich weiß nicht, an wen ich mich wenden kann.

Dies schreib ich zitternd in der Nacht, in der Hoffnung, dort draußen gibt es eine Person, die mir verraten kann, was mit mir geschieht. Ich habe versucht die Vorgänge logisch zu erklären, doch ich versagte.

Vor einer Weile, als ich 17 Sommer alt war, lebte ich noch mit meiner Mutter, welche eines Tages eine Frau namens Rose kennenlernte. Rose besuchte uns gelegentlich, da meine Mutter sie gerne um sich hatte. An einem Abend, an dem ich herzlich wenig zu tun hatte, verbrachte ich mit ihnen meine Zeit denn, nun, ich war jung und gelangweilt und hatte einfach nichts besseres zu tun.

Meine Mutter erinnerte sich während der Gespräche daran, dass der gebackene Apfelkuchen nun bereit sein sollte und ließ mich mit Rose im Garten allein. Sie war eine hübsche Frau, so um die 40, schlank, mit langem schwarzen Haar und perlweißen Zähnen. Nun, so saß ich da mit ihr und sie drehte sich zu mir. Mit einem seltsamen, in die Länge gezogenem Grinsen – mit ihrem roten Lippenstift und den weißen Zähnen wirkte es geradezu abstoßender.

Sie bewegte ihren Kopf sehr langsam, einer Puppe gleich und sprach dann in der tiefsten Stimme die ich je gehört habe. Ich habe es jedoch nicht verstanden, hatte jedoch noch keine Angst und so fragte ich nur höflich “Wie bitte…?” Und als wäre es nicht schräg genug, bricht nun ihre Stimme und in der hellen, piepsigen Stimme eines kleinen Mädchens kommt nun von ihr “Bist du nun bereit zu gehen?” Das Grinsen ist noch da und ihre Zähne haben sich während dieses Satzes nicht geöffnet.

Dies begann mich nun doch ein wenig einzuschüchtern und so sagte ich nur “Was?” “Bist du bereit?” Dasselbe nochmal. Nun zog sie eine Orange aus einer ihrer Taschen und hielt sie in die Luft. Sie bot mir die Orange nicht an, sie begann sie nicht zu essen, Rose hielt sie einfach nur in der Luft.

Nun wurde es mir zu seltsam und ich wollte gehen, doch in genau jenem Moment kam meine Mutter mit dem Kuchen zurück. Als hätte jemand einen Schalter umgelegt war Rose wieder wie normal und schob die Orange zurück in eine Tasche, ohne dass meine Mutter es bemerkte.

Ich verließ die beiden kurze Zeit später, es war eine seltsame Erfahrung, aber ich war jung und schob es schnell zur Seite. In jener Nacht hatte ich jedoch Probleme einzuschlafen. Mein Zimmer war höher gelegen, im ersten Stock. Ich warf, während ich mich auf dem Bett hin und her wälzte, gelegentlich ein Blick aus dem Fenster. Fast als hätte ich Angst, ein Monster würde bei mir einbrechen.

Aber schließlich wurde ich doch müde, meine Augen fielen zu und ich blinzelte nur noch ein letztes Mal zum Fenster. Und da war die verdammte Frau natürlich. Stehend vor dem verdammten Fenster. Im ersten Stock. Rose. Mit ihrem verfluchten Grinsen, ihrem roten Lippenstift und den Zähnen so weiß wie nie zuvor, vor dem vollen Mond. In meinem Kopf habe ich mir über die Jahre den einen oder anderen Fluchtweg ausgedacht, aber ausgerechnet jetzt, wo die beste Freundin meiner Mutter vor meinem Fenster steht und mich angrinst fällt mir nichts mehr ein. Ich war geschockt, mein Mund war trocken.

Das Zimmer fühlte sich mit jeder Sekunde kälter an, doch konnte dies auch der Schrecken sein. Schließlich sammelte ich mich und begab mich langsam zur Tür. Ihr Kopf drehte sich mit mir und das Bild einer Puppe kam mir erneut in den Sinn. Ich dachte daran zu schreien, doch wollte ich meine Mutter nicht wecken, oder ihr Angst machen.

Nun reichte es mir und ich entschloss mich dazu, auf Rose zu zugehen und das Fenster zu öffnen. Soll sie mir verdammt noch einmal sagen was ihr Problem ist. Doch bevor ich sie erreichte, bewegte sie sich von selbst. Und was war ihre Bewegung? Sie zog die Orange aus einer ihrer Taschen. Ich wusste in dem Moment noch nicht wie lange eine Person Gänsehaut haben kann, denn meine machte keine Anstalten zu verschwinden. Nun, nachdem ich eine geschlagene Minute Wurzeln schlug, beschloss ich, weiter auf sie zu zugehen. Ich war eine kräftige junge Frau und ich dachte, ich hätte gute Chancen, mit ihr fertig zu werden, sollte es dazu kommen. Meine Fenster öffneten sich nach oben hin und so zog ich sie etwa 20cm. Gerade als ich ihr zurufen wollte, sie solle verschwinden, bewegte sie sich erneut.

Sie verbog sich. Immer weiter, zu meinem Schrecken, bis ihr schmaler Kopf durch den engen Spalt meines Fensters lugte. “Kommst du nun mit mir?” Schon wieder die Stimme des kleinen Mädchens. Und natürlich bewegte sich als nächstes die Hand mit der Orange durch den Spalt.

Was habe ich gemacht? Dasselbe was du auch machen würdest. Ich rannte, rannte aus dem Zimmer während ich nach meiner Mutter schrie. Sie hatte zum Glück einen leichten Schlaf und kam mir sofort entgegen. Ich presste nur “Rose…Zimmer…” hervor und zog sie mit sich.

Nun ihr kennt es sicherlich, dass in dem Moment wo man zurückkehrt die Person verschwunden ist? So war es fast auch in meinem Fall, ich sah einen dürren Schatten in der Dunkelheit verschwinden. Doch meine Mutter betrat kurz nach mir mein Zimmer und sie sah nichts.

Nach einem langem Gespräch sagte sie mir, es wäre wohl ein Albtraum gewesen, aber ich solle sofort zu ihr kommen, falls jemand versucht in mein Zimmer einzudringen. “Du und deine Fantasie…” Kam noch von ihr, während sie zurück zu ihrem Zimmer lief.

In den kommenden Monaten passierte nichts mehr. Rose besuchte gelegentlich meine Mutter, aber ich sorgte dafür dass ich definitiv nicht in der Nähe war. Ich hab den Abend nie vergessen, doch mehr und mehr rückte es in meinen Gedanken in den Hintergrund. Als eine junge Frau hat man besseres zu tun, als über Verrückte nachzudenken.

An einem heißen Spätsommertag lag ich träge in meinem Zimmer. Da ich Hunger hatte beschloss ich nach meiner Mutter zu rufen und zu fragen, ob sie etwas zubereiten könnte.

Es kam keine Antwort. Nun, Pech gehabt, so musste ich mich eben selbst um meine Nahrung kümmern. Als ich jedoch die Küche betrat, sah ich sofort die Orange auf dem Küchentisch – ich zuckte zurück und hatte sofort jene Nacht vor Augen.

Dann jedoch beruhigte ich mich. Es hatte mich mehr mitgenommen als ich ahnte, wenn mich eine Orange auf dem Küchentisch sofort aus der Bahn warf. Ich beschloss, sie zu unseren anderen Früchten zu legen, doch in dem Moment wo ich sie ergriff erklang die Stimme hinter mir: “Du wirst bald mit mir kommen müssen, weißt du?” sprach Rose. Mit ihrer kleinen, piepsigen Kinderstimme. Ich drehte mich um und dort stand sie natürlich.

Das Grinsen so weit wie eh und je, mit den roten Lippen vor den strahlend weißen Zähnen. Mit ihrer blassen Haut und den langen, schwarzen Haaren. Dieses Mal mit einem weißen Sommerkleid und roten Schuhen.

Ihr Kopf wackelte langsam von einer Seite zur anderen. Diese elende Frau, die mich schonmal fast zu Tode erschrocken hat und nun ebenfalls nichts besseres zu tun hatte als mich in meiner Küche zu überfallen. Und erst dann begann sie, aus einer ihrer Taschen eine Orange zu ziehen. Sie sah mich fragend an, ob ich sie haben wollen würde.

In dem Moment wo ich in Erwägung gezogen habe die verdammte Hure entweder umzurennen oder weg zu laufen, kam meine Mutter ins Zimmer. Rose wechselte sofort auf ihr “normales” Ich. Da meine Mutter mir bereits bewies dass sie mir nicht glaubte, konnte ich nichts tun als die beiden ihren Spaziergang haben zu lassen. Aber ich versprach mir, würde die Irre mir nochmal zu nahe treten, würde ich ihr in das Gesicht schlagen.

Ein Jahr verging und ich machte mich bereit, das Haus meiner Mutter zu verlassen. Ich war nun alt genug, um auf eigenen Beinen zu stehen. Da ich mir erhoffte, in einer angesehenen Schmiede weit entfernt von der Heimat arbeiten zu können, übte ich den letzten Sommer in einem Lehrlingswohnheim. Und in der letzten Nacht dort passierte das letzte Erlebnis in meiner Heimat.

Mein eigener Raum hatte einen wundervollen Balkon, im dritten Stock eines gewaltigen Gebäudes. Da es warm war, beschloss ich, diesen Abend auf eben jenem Balkon zu verbringen und bereute es sofort.

“Es ist wirklich Zeit mit mir zu kommen.”

Ich hätte mich beinahe eingenässt. Ja, es war lange her, aber so etwas vergisst du niemals wieder. Ich sah nach rechts.

Rose stand auf der schmalen Grenzmauer des nächsten Balkons. Nicht auf dem Balkon, nicht an einem Tisch auf dem Balkon, sondern auf der verdammten Umzäunung. Ich hatte keine Ahnung, wie sie es schaffte, darauf zu balancieren. Fast 20 Meter über den Boden und in ihrer Hand die Orange.

Natürlich sprach sie in ihrer Kinderstimme, mit den weißen Zähnen, die sich niemals öffneten. Im Gegensatz zu unseren bisherigen Treffen schien die Orange aber allmählich zu schimmeln. Diese war bei weitem nicht so strahlend wie bei unseren letzten drei Treffen.

Ihr Kopf schien noch weiter als normal nach links geneigt zu sein, ihre Haut blasser als beim letzten Mal.

“Was willst du von mir?!” blaffte ich sie an. “Ich will nur, dass du dort bist, wo du hingehörst”, sprach sie durch ihre geschlossenen Zähne, während sie mir die halb verschimmelte Orange hin hielt.

“Verrückte Hure, verschwinde endlich!” schrie ich sie an und rannte zurück in mein Zimmer. “Du wirst schon kommen.” war das letzte, was ich von ihr hörte. Ich würde die ganze Gegend in ein paar Tagen hinter mir lassen, also nahm ich an, ich wäre sicher. Falsch gedacht.

Ich weiß dies ist eine lange Geschichte, aber dies geschah vor nun 7 Jahren. Ich habe sie in die tiefsten Ecken meines Kopfes versteckt und meine Erinnerungen tauchten nur in den dunkelsten Nächten wieder auf.

Das einzige Mal wo ich von Rose hörte war, als meine Mutter mich besuchte. Sie erzählte mir, dass ihre Freundschaft mit Rose auseinanderfiel, nachdem ich gegangen bin. Ich jedoch lernte eine wundervolle Frau kennen und unsere Liebe erblühte.

Eines Tages entschied ich, einen Markt zu besuchen. Ein bekannter Schmiedemeister war in der Stadt und ich beschloss, seine Meisterwerke sehen zu wollen. Ich war nicht die einzige Person, wie es schien. Vor dem Stand herrschte reges Gedränge und ich wurde mal hier, mal dorthin gestoßen. Zu allem Überdruss fing es auch noch an zu regnen und ich fing an zu bereuen, dorthin gegangen zu sein. Als ich gerade mal wieder nach vorne gestoßen wurde wanderte mein Blick auf die andere Straßenseite. Dort stand sie. Eine Frau mit einem durchdringend rotem Lippenstift, etwas orangenes in der Hand haltend.

Doch erneut wurde ich gestoßen und im nächsten Moment sah ich dort nichts mehr. Ich rannte zu der Stelle wo ich die Frau gesehen habe und fand nicht mehr als eine verrottete, alte Orange auf dem Boden.

Ich begann zu weinen. Es war Rose, ich schwöre, es war Rose. Wie hatte sie mich gefunden? Eine verflucht weite Reise von daheim entfernt, in einer fremden Stadt?

Hatte sie mich die ganze Zeit verfolgt? Hatte sie meine Freunde ausgefragt? Schließlich riss ich mich zusammen und ging zu einem nahen Teeladen. Dort verbrachte ich die nächsten Stunden, darüber sinnierend, was sie von mir möchte. Will sie mir Leid zufügen? Wie wahnsinnig ist sie?

In den folgenden Tagen bemerkte meine Geliebte, dass etwas mit mir nicht in Ordnung war, aber sie übte keinen Druck aus. Ich beschloss, alles für mich zu behalten. Dass nichts passiert sei, mein Kopf mir einen Streich gespielt hat. Es hatte geregnet, wie konnte ich mir sicher sein etwas gesehen zu haben? Und eine Orange auf dem Boden war kein Grund in Panik zu geraten.

Einige Tage später kam ein Brief bei mir an. Kein Absender. Ich zog das Stück Pergament hervor, auf dem mein Gesicht abgebildet war, mit den Worten darunter: “Du kommst JETZT mit mir.”

Ich ließ das Bild fallen und brach erneut in Tränen aus. Meine Geliebte fand mich, eingerollt auf unserem Bett und sie dachte sofort ein enger Verwandter wäre gestorben. Ich hatte nie zuvor vor ihr geweint. Ich musste es ihr erzählen. Und so begann ich von einer Irren zu reden, die mich verfolgte. Während ich sprach wurde sie zusehends blasser und stellte schließlich die Frage, die dazu führte, dass ich nahezu ohnmächtig wurde: “Hielt sie… eine Orange?” Ich gefror und sah sie an. Sie fing nun ebenfalls an zu weinen.

Wir hatten ein langes Gespräch, aber zu erzählen warum sie diese Fragte stellte würde ein weiteres Buch benötigen.

Am nächsten Tag kamen wir Heim, die Tür aufgebrochen und Chaos in unserem Schlafzimmer. Jemand hatte das Laken vom Bett gerissen, auf dem Boden verbreitet. Fein säuberlich lag in der Mitte des Lakens, in zwei Hälften geschnitten, eine Orange.

Die nächsten Stunden redeten meine Geliebte und ich miteinander, bis wir körperlich und geistig erschöpft waren und uns schlafen legen mussten. Ich werde im nächsten Werk kurz die Geschichte meiner Geliebten zusammenfassen und ihre Erfahrungen mit Rose.

Bis dahin – wünscht uns das Beste.

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