Die Aldor Wiki
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Alaerie Quinn Geschichten Erfindungen und Ausrüstung

Die Flinte

Sie warf sich an diesem Abend unruhig hin und her, obwohl man ihre Wunden geheilt hatte und sie keine wirklichen Schmerzen mehr fühlte. Es war ihr nie leicht gefallen, einzuschlafen. Entweder geisterten zu viele Einfälle, Ideen, oder Probleme die es zu lösen galt in ihrem Kopf herum, oder aber es war die große Furcht vor dem nächsten Tag, dem nächsten Fehlschlag, der sie wach hielt.

Hier draußen war es allerdings noch viel schlimmer. Der Druck war imens, die Anspannung kaum zu ertragen. Wenn sie nun falsche Entscheidungen traf? Wenn sie sich nun Illusionen hingab? Wenn sie nun im Schlaf von einem dieser massiven Eisenkugeln zerquetscht wurde?

Nicht daran denken. Nur nicht daran denken. Schäfche zählen. Oder Primzahlen. Schäfchen die aussehen wie Primzahlen. Nein, es half nicht. Sie war wach und sie würde wach bleiben. Da war zu viel. Schreie, Kampfeslärm und nicht zuletzt ihre eigene Angst. Sie hätte gerne darüber mit jemanden gesprochen, aber das letzte was sie wollte war, dass man sie für noch unfähiger hielt, als es mittlerweile vermutlich der Fall war.

Das war nicht wie in den Büchern. In den Geschichte erschienen sämtliche Probleme und Kriege immer sehr weit weg. Etwas, dass man hörte, aber nicht so recht glauben konnte. Bis man dann selbst mitten drin war und beinahe von einer Eisenplatte zermalmt wurde. Innerlich verfluchte sie ihre langsame Reaktion, als es passiert war. Sie hätte das schneller durchschauen müssen. Ein Gnom hätte das Ganze bestimmt schon von weitem durchschaut, vermutlich nicht mal mit der Nase gezuckt. Das war nicht fair. Nichts davon war fair. Sie war einfach nervös gewesen und unkonzentriert. Das hätte jedem passieren können.

Nein, es war nicht fair. Es war ebenso wenig fair wie die Tatsache, dass eine ehemalige Freibeuterin durch Vetternwirtschaft Kapitän ihres eigenen Schiffes wurde. Ebenso wenig fair wie die Tatsache, dass ihre Schwester in den Tag leben konnte, während sie jeden Tag hatte in der Werkstatt schuften müssen, um es zu etwas bringen zu können. Es war auch nicht gerade fair, dass sie so von sich selbst dachte. Sie war immerhin noch am Leben. Sie hatte kein Körperteil verloren, es war nichts gebrochen und den entstandenen Schaden hatte Lady Varloh scheinbar so mühelos geheilt, als wäre es nichts gewesen. Quinn seufzte. Was es ja auch war. Nichts. Keine ernste Verletzung. Sie schämte sich ein wenig, dass die Paladin ihre Kräfte an sie verschwendet hatte. Das war nicht fair. Nicht gegenüber denen, die es schwerer hatten, als sie selbst.

Sie seufzte und ärgerte sich anschließend selbst über das Selbstmitleid, welches darin mitklang. So war das nicht in den Geschichten. Die Geschichten waren anders. Sie waren wie die Rede, die der Oberstleutnant gehalten hatte. Vermutlich käme er darin vor - irgendwann. Ebenso der Zwerg, voller Vertrauen in seinen Anführer. Sie straffte sich. Die Platte hätte ihre Ende sein können, war es aber nicht gewesen. Sie hatte Zeit. Noch hatte sie Zeit ihren eigenen Platz in den Geschichten zu finden. Sie zuckte zusammen, als sie ein weiteres Geschoss einschlagen hörte und kauerte sich ängstlich zusammen. Falls es denn Geschichten geben würde.


...


"Kleine Quinny,
mach sie fertig. Ich zähle auf dich.
M. Q. "

Sie hatte eine ganze Stunde über der schlichten Nachricht gebrütet, die dem Paket beigefügt war. Der Bote hatte ihr nicht sagen können, oder wollen, von dem die Lieferung kam und bevor Alaerie weitere Fragen stellen konnte, war er auch schon wieder verschwunden. Später konnte ihr niemand so recht sagen, wohin er verschwunden war, aber eingebildet hatte sie ihn sich nicht. Er war von einem der Schiffe gekommen, aber wo er abgeblieben war, war ein Rätsel.

Sie sah wieder auf die Nachricht und ihre Brauen verzogen sich im Zorn, als lange verdrängte Erinnerungen wieder hochkochten. Erinnerungen, die sie eigentlich lieber weiterhin in die dunkelste Ecke ihres Verstandes gezwungen hätte. Im Grunde musste der Bote nichts bestätigen, was sie nicht schon wusste.

Sie kannte nur eine Person - einen 'M. Q.' - , der je 'Quinny' zu ihr gesagt hatte. Sie kannte nur einen 'M. Q.', zu dem diese Handschrift passte.

Die Nachricht zerknüllte sie und mit den Zeilen verschwanden auch die Erinnerungen und der Zorn. So viel unterdrückter Zorn, den ihre Schwester immer offen gezeigt hatte. Quinn atmete durch und widtmete sich stattdessen lieber dem länglichen Paket. Wenn sie richtig lag, dann wusste sie bereits was darin enthalten war. Sie wurde nicht enttäuscht.

Es war ein Gewehr. Vielmehr eine Flinte. Auch ohne ihre umfangreiche - jedoch eher theoretische - Erfahrung mit derlei Waffen hätte sie sofort auf den ersten Blick erkannt, dass es sich um ein Meisterwerk handelt. Der Büchsenmacher hatte sie alle Mühe gegeben, diese Waffe an ihren Träger anzupassen. Hier und da entdeckte sie einige Besonderheiten, deren Sinn ihr auf den ersten Blick nicht ganz klar wurden. Wozu benötigte sie schon eine Druckanzeige am Kolben? Oder wurde da eher die Temperatur gemessen? Quinn unterdrückte ein Schnauben. Natürlich klang das ganz eindeutig nach IHM. Er wollte, dass sie es selbst herausfand.

Sie zuckte mit den Schultern und nahm die Waffe in beide Hände. Sie war leichter, als ihr Äußeres vermuten lassen würde. Ein weiteres Zeichen, dass die Schusswaffe bis in das kleinste Detail hin durchdacht war. Sie bückte sich und durchwühlte das Paket, bis sie fand, was sie gesucht hatte. Munition. Mehrere Patronen, schon ein etwas größeres Kaliber, die darauf warteten, in die Waffe geladen zu werden. Bei dem Anblick kehrten wieder die Erinnerungen zurück. Die Geräusche, auf die sie gehorcht hatte, wenn er ihr verboten hatte, in die Werkstatt zu gehen. Ein Schuss...nachladen...ein Schuss...nachladen...ein Schuss...

Er hatte immer davon gesprochen, dass er irgendwann etwas über den klassischen Vorderlader hinaus entwickeln wollte, aber wie Quinn selbst irgendwann hatte einsehen müssen, musste man in den richtigen Kreisen verkehren, um so weit zu kommen. Inzwischen gab es durchaus Schusswaffen, die eine beträchtliche Verbesserung zu den klassischen Gewehren darstellten, aber sie blieben zumeißt dem Militär vorbehalten und waren oft auch eher stationär eingesetzt. Was sie jetzt in den Händen hielt, erschien ihr eine Art Zwischending zu sein. Schneller als der Klassiker, langsamer als die Moderne. Noch. Sie erkannte schnell, dass diese Waffe das Potential hatte, von ihr weiterentwickelt zu werden. Vielleicht gehörte ja auch das zu seinem Plan, seiner Aufgabe.

Einen Augenblick dachte sie nach und der alte Hunger nach Anerkennung, nach einem simplen Lob überkam sie wieder, ganz so wie früher, als sie noch von ihm gelernt hatte. Dann aber schob sie sich den Trageriemen über die Schulter und ihre Gefühle beiseite. Abermals schämte sie sich dafür, darüber nachgedacht zu haben, diesen Krieg nur als Chance zu sehen, irgendwie aufzusteigen. Das war falsch und nochmal würde ihr das nicht passieren. Was immer er also für sie vorgesehen hatte, musste warten.

Es gab viel zutun und die Arbeit erledigte sich nicht von selbst.

Gehorsam zum Quadrat durch Zwei

Folgt

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